Dies ist eine Spiegelung eines Artikels aus "DIE ZEIT/Ausgabe Nr. 20 vom 10.5.1996", von Ingo Ruhmann. Der vollständige Artikel: Das neue Telekommunikationsgesetzvon Ingo Ruhmann
Polizei und Sicherheitsbehörden wollen jederzeit unbemerkt auf die Kundendateien von Online-Diensten und Mailboxen zugreifen. Ein Gesetz soll ihnen den Weg bahnenDie Öffentlichkeit hat es noch gar nicht so recht mitbekommen: Schon bald will die Bundesregierung ein Gesetz verabschieden, das den Anbietern von Telekommunikationsdiensten umfangreiche Auflagen zur Überwachung ihrer Kunden macht. Die Rede ist vom neuen Telekommunikationsgesetz. Ein Entwurf, kurz TKG-E genannt, ist schon vergangenes Jahr in kleinster Runde von CDU , FDP und SPD ausgehandelt worden. Besonders brisant ist darin der Paragraph 87. Er sieht vor, daß Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste jederzeit Zugriff auf die Kundendateien von Telekommunikationsdiensten haben sollen. Das sind heutzutage beileibe nicht mehr nur die Telekom und die Betreiber der verschiedenen Mobilfunknetze. Online-Dienste, Mailboxen und Internet-Provider sind in großer Zahl dazugekommen. Sie alle müssen, wenn es nach diesem Gesetz geht, dafür sorgen, daß die Behörden jederzeit Zugriff auf ihre Daten haben; sie müssen es sogar so einrichten, daß sie selber nichts davon mitbekommen. Im Amtsdeutsch des Entwurfs: Die Anlage soll "technisch so organisiert sein, daß dem Anbieter Abrufe nicht zur Kenntnis gelangen können". Damit nicht genug: Die Gerätschaften, die dafür nötig sind, muß der Anbieter mitsamt der Software auf eigene Kosten bereitstellen. Die Sicherheitsbehörden begründen ihren Anspruch mit den besonderen Schwierigkeiten der Fahndung im Zeitalter der Computernetze und der digitalen Kommunikation. Wenn sie früher einen Verdächtigen abhören wollten, genügte es, einen Gerichtsbeschluß zu erwirken und seine Telephonnummer zu besorgen. Da aber kann heutzutage schon einiges zusammenkommen: ein Telephonanschluß zu Hause, einer am Arbeitsplatz, eine Nummer fürs Handy und eine für das Fax, dazu noch zwei, drei E-Mail Adressen; das alles möglicherweise verteilt auf verschiedene Anbieter. Und alle bieten sie viel mehr als nur die Vermittlung von Telephonaten. Elektronische Post, Online-Unterhaltungen per Tastatur und Versand von Dateien auch über Netzgrenzen hinweg: Telekommunikation im digitalen Zeitalter heißt Austausch von Daten aller Art über alle erdenklichen Wege. Nun wollen die Behörden sicherstellen, daß sie von jedem Teilnehmer all seine Anschlußdaten parat haben - für den Fall, daß eine Überwachung fällig wird. Nicht jeder Dienst soll sich allerdings diese Daten selber zusammensuchen müssen. Der Bequemlichkeit halber soll eine sogenannte Regulierungsbehörde diese Arbeit für alle erledigen. Diese Regulierungsbehörde durchsucht auf Anfrage reihum die ihr angeschlossenen Datenbanken der Anbieter. Dabei ist sie lediglich ausführendes Organ; sie ist nicht befugt, die Rechtmäßigkeit der Anfrage zu prüfen. Im Gesetzentwurf ist aber ohnehin keine Einschränkung enthalten, wonach die Daten etwa nur für den Zweck einer Überwachung eingeholt werden dürften. Auf den ersten Blick ist das immer noch eine recht umständliche, kaum bedrohliche Konstruktion: Die Daten verteilen sich ja auf viele kleine und große Nutzerregister. Da aber die Regulierungsbehörde jederzeit einen sekundenschnellen Online-Zugriff auf alles zugleich hätte, stünde ihr (und damit allen ermittelnden Behörden) eine wahre Superdatei zur Verfügung. Diese Datei wäre weit mehr als nur ein besonders aktuelles Einwohnerregister mit Adressen und Telephonnummern. Die Kommunikationsdienste speichern in der Regel zusammen mit den allgemeinen Daten der Kunden auch detaillierte Angaben über die Dienstleistungen, die sie in Anspruch genommen haben, schon weil sie in der Regel am Ende des Monats darüber abrechnen müssen. Da steht zum Beispiel vermerkt, wer welche kostenpflichtigen Datenbanken konsultiert und wer welche Diskussionsgruppen abonniert hat. Solche Daten zusammengenommen können über Interessen und Aktivitäten genauer Aufschluß geben als etwa die Ausleihlisten von Büchereien - und diese Listen müssen auch noch umständlich beschlagnahmt werden. Ihre elektronischen Äquivalente sollen die Behörden nun auf Wunsch jederzeit einsehen können, und nirgendwo in dem Gesetzentwurf ist von einer Beschränkung der Daten etwa auf Adressen und Telephonnummern die Rede. Bei der Vielfalt der Dienstleistungen, die heute geboten werden, können selbst Unbeteiligte leicht in eine Fahndung geraten. Es genügt zum Beispiel, daß ein Verdächtiger eine banale Anrufweiterschaltung in Anspruch nimmt: Er meldet sein Telephon kurzzeitig auf den Anschluß eines nichtsahnenden Geschäftsfreunds um, der ihn zu einer Party eingeladen hat. Dann muß die Polizei nur noch die Daten der von ihm benutzten Telephondienste abrufen, und schon landet die Nummer des Gastgebers in der Liste der zu überwachenden Telephonanschlüsse. Solcher Probleme ungeachtet, forderte der Bundesrat, der von der SPD dominiert wird, in seiner Sitzung am 22. März noch ein paar gehörige Verschärfungen. In folgenden Punkten geht der TKG-Entwurf der Mehrheit der Länder noch nicht weit genug: · Die Anbieter sollen den Behörden nicht nur die aktuellen, sondern auch die alten Kundendaten vorrätig halten. Im Entwurf war bislang eine Regelung vorgesehen, wie lange solche Daten höchstens gespeichert werden dürfen. Nun soll nur noch geregelt werden, wie lange sie mindestens gespeichert bleiben müssen. · Im Entwurf sollte die Verpflichtung zur Mitarbeit nur für "gewerbliche Betreiber" von Telekommunikationsanlagen gelten, also für Unternehmen, die damit ihr Geld verdienen. Nun sollen auch noch "geschäftsmäßige Betreiber" dazukommen, also alle Firmen, die eigene Netze für den internen Datenaustausch nutzen. Sogar Betreiber von Funknetzen kurzer Reichweiten, wie sie etwa auf Flughäfen genutzt werden, sind betroffen. Und die Betreiber von Mailboxen würden dann wohl ebenfalls in die Reichweite des Gesetzes geraten. Die Datenschützer sind sich nur noch nicht einig, ob damit auch jeder Gewerbetreibende mit einer Nebenstellenanlage der Regulierungsbehörde Auskunft zu geben hätte. Daß nun so vehement Daten gesammelt werden sollen, nur weil man gelegentlich Anschlüsse überwachen muß, ist kein Zufall. Die Bestimmungen zur Überwachung selber sind schon vorher gehörig verschärft worden. Vor ziemlich genau einem Jahr trat die sogenannte Fernmeldeanlagen-Überwachungsverordnung (FüV) in Kraft. Sie verpflichtet alle Anbieter, eine sogenannte Abhörschnittstelle für richterlich angeordnete Überwachungen bereitzuhalten; ebenfalls auf eigene Kosten. Bis zum 31. dieses Monats haben sie noch Zeit, die Verordnung umzusetzen, dann drohen empfindliche Geldbußen. Damit wäre für alle Telekommunikationsdienste die technische Mindestausstattung auf drei Leitungen festgelegt: eine für die Kunden, eine für den unbeschränkten und unbemerkten Zugriff der Regulierungsbehörde auf die Kundendaten und eine, damit gegebenenfalls auch noch eine gerichtlich angeordnete Überwachung stattfinden kann. Genaugenommen sieht die FüV sogar vor, daß "gleichzeitig mehr als eine Überwachung je Anschluß" möglich sein muß. In der Bundesrepublik wird beim Abhören seit jeher nicht gekleckert. Unter den bekanntgewordenen Fällen liegt der Spitzenwert bisher bei 300 000 abgehörten Telephonaten im Verlauf einer einzigen Überwachung. So geschehen 1994 bei einer nicht näher bezeichneten Polizeifahndung in Baden-Württemberg. Im Jahre 1992 wurden in Deutschland 3433 Telephonüberwachungen richterlich angeordnet. Die USA kamen im selben Jahr lediglich auf 770. Dort überprüft außerdem ein Richter in jedem einzelnen Fall, ob die Überwachung das erhoffte Ergebnis hatte. Hierzulande kann von einer Erfolgskontrolle keine Rede sein. Statt dessen soll laut TKG-Entwurf nun auch noch die Weitergabe von Überwachungsstatistiken verboten werden. Das neue Gesetz schreibt die rigide Regelung der Fernmeldeüberwachungsverordnung nun endgültig fest, und das angesichts der Tatsache, daß Datenleitungen für den Austausch von Informationen immer wichtiger werden. Es geht längst nicht mehr nur Gespräche. In dem Maß, in dem Computer und Netze sich zu einem neuen Medium verbinden, kommen neue Formen der Nutzung hinzu, etwa Telearbeit, Telebanking und Telemedizin. Schon heute ist etwa die von der Verfassung geschützte Pressefreiheit weitgehend untergraben. Wenn Verbindungsdaten beschlagnahmt werden dürfen, aus denen hervorgeht, wen eine Redaktion angerufen und wer sich bei ihr gemeldet hat, kann von Informantenschutz keine Rede mehr sein. Das ZDF machte diese Erfahrung während der Fahndung nach dem Immobilienspekulanten Schneider. Die Strafverfolger hatten sich damals bei einem Mobilfunkbetreiber die Verbindungsdaten der Redakteure besorgt, die mit dem Fall befaßt waren. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka sieht in dem Gesetzentwurf eine weitere drastische Verschärfung der Überwachung. Die Telekommunikationsnetze werden "zum ständigen Fahndungsnetz für Polizei und Staatsanwaltschaft". Auch für Peter Schaar, Referent beim Datenschutzbeauftragten in Hamburg, hat der TKG-Entwurf eine "überwachungslastige Schlagseite". Und Manuel Kiper, Postpolitiker der Bundestags-Grünen, warnt davor, das "TKG zum Abhörgesetz" zu machen. Doch von den berufsmäßigen Datenschützern abgesehen, hat bisher kaum jemand den TKG-Entwurf kritisiert. Kein Vergleich mit der allgemeinen Entrüstung in den USA, als in den Jahren 94 und 95 ein Äquivalent zur FüV, die Digital Telephony Bill, vorgelegt wurde. Dabei wurden dort weder derart weitreichende Abhörmöglichkeiten noch die Übernahme der Kosten durch die Anbieter gefordert. Daß es teuer werden könnte, war bislang das einzige, was die Anbieter hierzulande aufgebracht hat. Die Mobilfunkbetreiber Mannesmann und E-Plus befürchteten schon bei der Einführung der FüV Zusatzkosten für Leitungen und technische Änderungen in zweistelliger Millionenhöhe. Damals verschickten die beiden Firmen ein Protestschreiben an Postpolitiker in Bund und Ländern: Man könne ihnen nicht auch noch die Aufgaben der Strafverfolgung aufbürden, klagten sie darin; notfalls würden sie sich rechtliche Schritte vorbehalten. Geschehen ist bisher nichts. Man hört höchstens ab und zu ein Grummeln. Uwe Bergknecht vom Internet-Provider Xenologics in Köln beklagt etwa, daß seine mittelständische Firma für den Zugriff auf die Kundendaten eigens Programme entwickeln und einen zusätzlichen Computer anschaffen müßte. Beides würde sich leicht auf 50 000 Mark summieren. Bergknecht kann nicht nachvollziehen, was sich die Polizei von den Daten seiner Kunden verspricht: "Wenn die wirklich einen Mafioso überwachen, kann der doch seinen Verkehr einfach verschlüsseln. Und wenn er das hier nicht darf, dann nutzt er einen sicheren Netzrechner im Ausland." In der Tat: Je mehr der Staat das Fernmeldegeheimnis schwächt, um so häufiger werden Kundinnen und Kunden zur Selbsthilfe schreiten und ihre Daten verschlüsseln. Die nötige Software ist allgemein verfügbar; von dem populären Programm PGP gibt es sogar schon eine Variante, die Telephongespräche verschlüsseln kann. Solche Mittel sind nicht einmal auszuschalten, indem man Verschlüsselungsverfahren generell verbietet. Es gibt auch schon Software, mit der sich verschlüsselte Nachrichten vor der Übertragung unauffindbar verstecken lassen, beispielsweise in unverfänglichen Bilddateien. Die Freunde des Überwachens lassen sich von solchen Aussichten nicht beirren. Das Bundesverfassungsgericht könnte allerdings die Dinge noch einmal in Bewegung bringen. Der Hamburger Drogenexperte Professor Michael Köhler hat Klage erhoben, weil der Bundesnachrichtendienst die Telekommunikation mit dem Ausland routinemäßig mit Hilfe von Computern nach verdächtigen Schlüsselwörtern abhört. Köhler bringt nun vor, er müsse von Berufs wegen häufig Gespräche führen, in denen von Drogen die Rede ist; mit jedem dieser Gespräche könne er ins Fahndungsraster des BND geraten. So etwas könne nicht im Sinne der Verfassung sein. Eine Grundsatzentscheidung des höchsten Gerichts in Sachen Fernmeldegeheimnis wird noch für dieses Jahr erwartet. Um so eiliger haben es die Verfechter des neuen TKG: Noch vor der Sommerpause will die Regierung es verabschieden. Sollte das Gesetz tatsächlich in Kraft treten, ist das Fernmeldegeheimnis entscheidend geschwächt. Dabei wäre es im Zeitalter der digitalen Kommunikation nötiger denn je. Ute Bernhardt vom Forum Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF): "Ohne Fernmeldegeheimnis wird es in der Informationsgesellschaft gar keine Geheimnisse mehr geben." Wie ernst die Autoren des TKG-Entwurfs dieses Fernmeldegeheimnis nehmen, zeigt der Umstand, daß sie ganz vergessen haben, eine Strafe für seinen Bruch hineinzuschreiben. Wer es künftig antastet, tut zwar etwas Verbotenes, wird aber, wenn es bei dieser Fassung bleibt, nicht mehr bestraft. Ingo Ruhmann arbeitet im Büro des Bundestagsabgeordneten Manuel Kiper (Bündnis 90/Die Grünen). Außerdem ist er im Vorstand des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF)
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